Seit einigen Tagen werden auf allen medialen Kanälen die Geschehnisse des 11. Septembers 2001 thematisiert. Ein Spezifikum von Online-Medien ist die Erhebung nutzergenerierter Inhalte. Der Guardian bedient sich dabei ähnlich wie das bereits vorgestellte Projekt des National Geographic sozialer Medien: Zur Verifizierung unterstützt durch Facebook oder Twitter können in ein Formular Angaben zum damaligen Standort sowie der eigenen Erlebnisse eingetragen werden. Eine Visualisierung der Ergebnisse ist in Vorbereitung.
Andere Online-Medien konzentrieren sich auf Videos als Format: Die New York Times hat gemeinsam mit YouTube einen Kanal für „Reflections on September 11“ eingerichtet und fragt unter anderem „What is your strongest memory of 9/11?“ Ähnlich verfährt das US-Network PBS, das aus den Einsendungen einen „9/11 Video Quilt“ webt.
Nicht nur nutzergenrierte Inhalte agreggiert die betreffende Microsite von Yahoo, die mit dem 9/11 Memorial kooperiert. Wer jedoch dem Aufruf „Tell your story“ folgen will, soll Mitglied im Contributor Network von Yahoo werden. Aber es gibt auch eine Flickr-Group und den Hashtag „#911remembered„. Aus den Beiträgen resultiert dann ein Mosaik von persönlichen Profilen. Yahoo ruft für den 11. September darüber hinaus zu einem Digital Moment of Silence auf.
Visuell ansprechend sammelt Al Jazeeras auf die Online-Community ausgerichtetes Format „The Stream“ Antworten auf die Frage „9/11 – The World Has Changed. How have you?“.
Während die vorgestellten Angebote alle Interessenten ansprechen, repräsentiert ein deutsches Projekt eine spezifische Perspektive: Das Bundesinnenministerium präsentiert in gewohnt geschlossenem Format Erinnerungen von Zeitzeugen aus dem Ministerium sowie der beteiligten Sicherheitsbehörden an die Terroranschläge und ihre Folgen.
Bereits direkt im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 entwickelte sich spontan eine Online-Erinnerungskultur, die dann unter dem Motto „Collecting Today for Tomorrow“ rasch institutionalisiert wurde. Ein Beispiel dafür ist The September 11 Digital Archive. Ebenso entstand etwa The Sonic Memorial Project: Die Aufzeichnungen wurden hier nicht nur archiviert, sondern auch als eine Art interaktives Audio-Denkmal arrangiert.
Zum zehnten Jahrestag wird nun nicht nur das 9/11 Memorial am ehemaligen Ground Zero eröffnet – es entstehen auch digitale sowie online verfügbare Angebote kommemorativer Kommunikation, von den einige hier kusorisch vorgestellt werden. Als Versuch einer vorläufigen Systematisierung soll es in einer ersten Folge hauptsächlich um Apps gehen, ein weiterer Beitrag wird sich dann mit der Kompilation nutzergenerierter Inhalte befassen.
Das 9/11 Memorial unterhält eine umfangreiche Online-Präsenz, bietet aber auch zwei iPhone-Apps an: Schon seit einem Jahr ist Explore 9/11 verfügbar. Ebenso wie die zuletzt diskutierte Historypin-App setzt Explore 9/11 u.a. auf geosensitive Inhalte, wenn Fotografien über den eigenen Standort erschlossen werden. Desweiteren werden die Geschehnisse in Form einer Timeline sowie einer Video-Tour resümiert. Rechtzeitig zur Eröffnung der Einrichtung ist nun der 9/11 Memorial Guide erschienen. Dieser erschließt vor allem das Denkmal, auf dem die Namen der 2983 Opfer verzeichnet sind. So ist die jeweilige Stelle auf den Wänden auffindbar, die die Footprints der Türme umschließen. Wie der folgende Screenshot zeigt, bietet die Website die gleichen Funktionen.
Für einige Namen sind darüber hinaus Audio-Aufnahmen mit Erinnerungen an das jeweilige Opfer verfügbar. Diese Inhalte wurden wiederum mit StoryCorps realisiert. Dabei handelt es sich um ein Oral History-Projekt, das unter dem Motto „Every voice matters“ Zeitzeugenerzählungen aller Art sammelt und online aufbereitet. Auch dafür exisiert übrigens eine iPhone-App. Einen guten Überblick über die Entstehung und Entwicklung von Denkmal und Museum bietet dann die mit viel visuellem Material ausgestattete iPad-AppThe 911 Memorial: Past, Present and Future, die nicht von der Einrichtung verantwortet wird.
Schließlich soll noch von einer Facebook-App die Rede sein: National Geographic hat eine Anwendung programmiert, die die Antwort auf die Frage „Wo warst Du, als Du von den Anschlagen gehört hast“ visualisiert. Nutzer können via „Remembering 9/11, Where Were You?“ Ihren Auftenhaltsort auf einer Karte eintragen sowie weitere Angaben dazu machen.
Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung zum 50. Jahrestags des Baus der Berliner Mauer eine iPhone-App mit geosensitiven Inhalten vorgelegt hat, ist jetzt eine Smartphone-App erschienen, die für interessierte Nutzer eine Kombination von digitalisierten historischen Inhalten und geografischen Daten möglich macht. Ausgangspunkt dafür ist das Projekt „Historypin„, das von der britischen not-for-profit company „We are what we do“ verantwortet und in Kooperation mit Google realisiert wird. Dabei werden zunächst die eingereichten historischen Fotografien auf einer Karte mit dem Ort der jeweiligen Abbildung verknüpft:
Hier lassen sich die Fotografien ortsbezogen sowie im Hinblick auf das Erstellungsdatum recherchieren. Darüber hinaus kann die Integration des historischen Motivs in eine – sofern vorhanden – aktuelle Ansicht von Google Street View realisiert werden. Diese Darstellung lässt sich im Überblendungs-Modus manipulieren und erzeugt einen Augmented-Reality-Effekt.
Neben Bildern lassen sich auch Audio- sowie Video-Inhalte einbinden und einzelne Einträge zu Sammlungen oder zu einer Tour zusammenstellen. Die Bild-Beiträge können von registrierten Nutzern kommentiert werden. Wie bei anderen Varianten des Crowdsourcing stellt sich auch hier die Frage der Qualitätssicherung. Ohne diese im Detail für individuelle Beiträge beantworten zu können, setzen die Verantwortlichen vor allem auf Kooperationen mit Schulen und lokalen Initativen, aber auch mit Archiven, Museen und Universitäten. Hier liegt meines Erachtens auch das größte Potenzial des Projekts: Es bietet beispielsweise erinnerungskulturellen Einrichtungen eine Plattform zur Produktion von Inhalten, die mit mobilen Endgeräten vor Ort rezipiert werden können.
Denn inzwischen liegt eine Historypin-App (Android/iPhone) vor, mit der sich unter anderem durch die Smartphone-Kamera die Umgebung nach historischen Bildern absuchen lässt. Liegen welche vor, werden diese eingeblendet und es lässt sich sogar ein Schnappschuss dieser Überblendung anfertigen. Die Programmierung einer eigenen App mit vergleichbaren Funktionen dürfte hingegen für die meisten Projekte finanziell wie technisch illusorisch sein. Insofern bietet Historypin gute Möglichkeiten für den Einsatz lokativer Medien in der historisch-politischen Bildung.
Vom 14. bis zum 16. April 2011 findet in Berlin die Konferenz „httpasts://digitalmemoryonthenet“ statt, die von der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der deutschen Kinemathek und dem Medienpartner 3 Sat Kulturzeit veranstaltet wird. Die Tagung gibt einen internationalen Überblick über die Nutzung digitaler sowie sozialer Medien im Kontext von Erinnerungskultur und Geschichtsvermittlung. In diesem Zusammenhang werde ich am Beispiel einschlägiger Online-Angebote einige Überlegungung zur Transformation kommemorativer Kommunikation vortragen.
Im Mittelpunkt meines Beitrags steht die Frage nach Veränderungen, die durch die Integration nutzergenerierter Inhalte evoziert werden: Ein Aspekt dieser Entwicklung ist, dass sich Zeitzeugen mit der Publikation autobiografischer Berichte zunehmend selbst in die Geschichte einschreiben. Während dies in Online-Medien eher ungefiltert geschieht, ermöglichen Techniken des crowdsourcing eine differenziertere Partizipation der Nutzer. Diese Methodik findet vor allem zur Identifikation und Erhebung von Angaben zu anonymen Opfern Anwendung. Ein aktuelles Beispiel für diese Praxis ist die Kampagne „Remember Me?“ des United States Holocaust Memorial Museums, die auf Personen zielt, die als Kinder den Holocaust überlebt haben:
„By publicizing these 1,100 photographs, the Museum hopes to identify these children, piece together information about their wartime and postwar experiences, and facilitate renewed connections among these young survivors, their families, and other individuals who were involved in their care during and after the war.“
Prägnant an dieser Kampagne, die bereit erste Erfolge hervorgebracht hat, ist zudem die Integration von Facebook und Twitter zur Kampagnenkommunikation. Übrigens: der Hashtag für Tweets zur Konferenz, die per Livestream verfolgt werden kann, lautet #digmem.